Der prospektive Name Wide White Space wurde für die Galerie zum Programm und Konzept. Viele der von Anny De Decker und Bernd Lohaus vertretenen Künstler erprobten den Galerieraum entweder als Installationsraum, die Arbeiten entstanden unter Einbeziehung des Raums (Carl Andre, Richard Long), oder die Ausstellung und die Räume selbst wurden zum Gesamtkunstwerk (Daniel Buren, Christo oder James Lee Byars). Diesen grundlegenden Wandel in den künstlerischen Produktions- und Arbeitsweisen der 1960er Jahre und die Wirkung und Transformationen des weißen Galerieraums thematisierte Brian O’Doherty in seinen 1976 in der Kunstzeitschrift Artforum publizierten Essays und Buch Inside The White Cube: The Ideology of the Gallery Space (und 1981 in seinem Essay The Gallery as Gesture). Zu den radikalsten „Gesten“ im Umgang mit dem Galerieraum zählen die Interventionen von Daniel Buren. 1968 versiegelte er mit weißen und grünen Stoffstreifen die Tür der Galleria Apollinaire in Mailand für die gesamte Ausstellungsdauer. 1969 säumten weiße und grüne Stoffstreifen die Grundmauern bis zur Eingangstür des Jugendstilgebäudes der Wide White Space Gallery. Im Inneren der Galerie setzte sich das Streifenband fort entlang der Innenwände des Galerieraums. Die erste Ausstellung von Daniel Buren löste in Antwerpen einige heftige Reaktionen aus. Einige Besucher fühlten sich angesichts der kargen Galerieräume, auf denen „nichts“ zu sehen war, provoziert. Nach der Ausstellung baten die niederländischen Sammler Mia und Martin Visser Daniel Buren, eine Installation in ihrem von Gerrit Rietveld erbauten Wohnhaus in Bergeijk zu realisieren. Für diese Gelegenheit überließen die Sammler in ihrer Abwesenheit Anny De Decker und Bernd Lohaus die Hausschlüssel. Daniel Buren suchte sich die augenfälligste und wichtigste Wand im Hause aus. Nach Fertigstellung machte sich Anny De Decker Sorgen: „Nach getaner Arbeit sah man im Hause Vissers nur noch Streifen. Der ganze Raum schien sich auf diese Streifen zu konzentrieren“. Doch Vissers waren bei ihrer Rückkehr begeistert.
Mit ihren Künstlern verbanden Anny De Decker und Bernd Lohaus sehr persönliche Kontakte: So fuhr Lawrence Weiner mit Bernd Lohaus und Daniel Buren 1969 gemeinsam nach Bern, um im Vorfeld der legendären Ausstellung von Harald Szeemann „Live in your head - When Attitudes Become Form“ Papierstreifen zu kleben; Richard Long verbrachte 1976 einige Sommertage im Landhaus im flämischen Weert; Carl Andre schenkte zur Geburt von Anny De Deckers Sohn Jonas, der ein kräftiges Baby war, eine Arbeit mit dicken Zinkplatten, zur Geburt der Tochter Stella schenkte er Platten aus Kupfer, weil Stella rothaarig war.
1976 beendeten Anny De Decker und Bernd Lohaus ihre Galerietätigkeit, 1977 fand die letzte Ausstellung mit Lawrence Weiner statt: „Above below the level of water with a probability of flooding.“ Mit ihrer konsequenten Haltung und Vermittlungsarbeit wurde Wide White Space zum Vorbild für ein Galeriemodell, das sich mehr an der Kunst orientierte, als an kommerziellen Interessen, wie Anny De Decker konstatierte: „Wir haben die Galerie immer als Abenteuer angesehen, überhaupt nicht als Handel, als geschäftliche Angelegenheit. (…) Wir haben die Extremsten ausgewählt, das war dann immer richtig.“
Das ZADIK - Zentralarchiv des internationalen Kunsthandels zeigte eine Sonderschau zur Wide White Space Gallery auf der ART COLOGNE 2012 anläßlich der ART COLOGNE-Preisverleihung an Anny De Decker und Bernd Lohaus. (Halle 11.2 Stand-Nr. D 40)
sediment. Mitteilungen zur Geschichte des Kunsthandels / Sediment Nr. 20/2011. Konsequent, Konstruktiv, Konkret.
Hg. Zentralarchiv des internationalen Kunsthandels e.V. ZADIK in Kooperation mit der SK Stiftung Kultur der Sparkasse Köln/Bonn
Autoren: Prof. Dr. Günter Herzog, Brigitte Jacobs van Renswou.
Verlag für moderne Kunst, Nürnberg, 2012. 20,00 EUR.
ISBN 978-3-86984-298-1
Buchcover: Koje der Galerie Reckermann auf dem Kölner Kunstmarkt 1973.
Foto Hennes Maier. Zentralarchiv des internationalen Kunsthandels (ZADIK), Köln © ZADIK, Köln